Sonntag, 11. November 2012

Verpassen

Wenn man auf sein Leben irgendwann einmal zurueckblicken wird, dann wird man sich mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht so sehr ueber die Sachen aergern, die man gemacht oder erlebt, sondern eher bedauernd auf Sachen zurueckblicken, die man verpasst hat. Es sei denn natuerlich, man ist irgendwie straffaellig geworden, aber davon gehe ich jetzt einfach mal nicht aus.

Das Motto sollte also sein, zu versuchen, moeglichst wenige seiner Traeume oder Plaene auszulassen. Klar, man kann nicht alles schaffen, aber die Gefahr etwas zu verpassen steigt immens, wenn man die Ausfuehrung bestimmter Traeume auf einen unbestimmten Zeitpunkt in die Zukunft verschiebt oder wenn man die innere Einstellung hat, an einen Event nur deshalb jetzt nicht teilnehmen zu muessen, weil es diesen in der Theorie ja alle paar Jahre wiederkehrend gibt.

Auch wenn ich es wirklich nicht wahrhaben will, es ist nunmal so, ich befinde mich in der Mitte des Lebens. Man kann sich das zwar schoen rechnen und nur die Lebensjahre zaehlen, an die man sich ganz gut erinnern kann. Das wuerde dann so zirka 8 bis 10 Jahre am Beginn des Lebens ausklammern und die Rechnung wieder etwas besser aussehen lassen. Aber wer weiss denn schon, wie dann spaeter die letzten 8 bis 10 Jahren laufen werden. Vielleicht muesste man die ja dann auch wegrechnen. Man weiss ja noch nicht einmal, wann diese letzten 8 bis 10 Jahre anfangen.

Gehen wir also mal davon aus, dass wir jetzt in der Mitte des Lebens sind, dann sollte man ja schonmal kurz ueberlegen, was wir bis hier denn alles schon so verpasst haben oder wohl doch sehr wahrscheinlich verpassen werden. Und da fallen mir leider doch schon ein paar Sachen ein.

Sehr schade finde ich zum Beispiel, dass ich die Fussball WM 2006 in Deutschland verpasst habe. Vielleicht war ich ja sogar der einzige Fussballfan weltweit, der trotz laufender Ticketbewerbung mit Bangen gehofft hat, lieber kein Ticket zugeteilt zu bekommen. Ich haette es eh verfallen lassen muessen. Wir wohnten ja damals schon seit einem Jahr in England, was aber alleine nun noch kein Grund gewesen waere, andere sind von viel weiter angereist. Aber dass meine hochschwangere Frau in genau den Wochen der WM auf meiner Anwesenheit bestehen wuerde, haette ich mir auch schon vor der Ticketbestellung denken koennen. Folglich war ich also gluecklich, dass ich bei der Kartenverlosung leer ausgegangen bin. Noch nicht einmal ein einziges Public Viewing konnte ich sehen. Immerhin hatte ich die ganze Zeit die deutsche Fahne im Fenster haengen. Die einzige in der Strasse, vielleicht sogar die einzige in der ganzen Stadt. Es gab ja damals kein direktes Aufeinandertreffen mit England, das konnte ich mich also durchaus trauen.

Das Ausgangsverbot in Erwartung des ersten Babys sorgte im gleichen Jahr fuer ein weiteres Auslassen einer vielleicht einmaligen Gelegenheit. Ich war zur sogenannten 3 Peak Challenge eingeladen, einer Sportveranstaltung, zu denen britische Firmen Teams schicken, die dann innerhalb 24 Stunden auf den jeweils hoechsten Berg von England, Schottland und Wales rennen duerfen. Und das inklusive Fahrtzeit zwischen den jeweiligen Stationen. Um allerdings eine gefaehrliche Raserei auf den Autobahnen zu vermeiden, wird aber nur die Zeit des eigentlichen "Wanderns" gezaehlt und die Zeit fuer die Fahrten zwischen den Bergen wird festgeschrieben. Nun sind die Berge in diesen drei Laendern ja nicht so hoch, keiner wuerde ernsthaft das gleiche mit Deutschland, der Schweiz und Oesterreich versuchen. Aber anstrengend und spannend ist diese Tour trotzdem, schliesslich treten hier ja eher untrainierte und nicht gerade fitte Buerotiger an. Solche wie ich eben. Dieser Event findet uebrigens jedes Jahr statt, ich habe mich aber nie wieder ernsthaft darum beworben. Und naechstes Jahr wohnen wir nicht mehr hier. Verpasst eben.

Gerade in den letzten beiden Jahren haette es in London ja so einige Events gegeben, die man eigentlich nicht haette verpassen sollen. Angefangen hat es mit der Hochzeit von Prinz William und Kate, dann die grosse Parade zum Jubilaeum der Koenigin und natuerlich die Olympischen und Paralympischen Spiele. Kann ich mich bei den Spielen noch damit herausreden, dass wir leider keine Tickets bekommen haben, so haette bei den beiden anderen Events ja nur ein Zugticket gereicht. Und trotzdem haben wir die ausgelassen. War es das Wetter oder die ueberfuellten Zuege, verbunden mit der polizeilichen Warnung, Reisen nach London moeglichst zu unterlassen? Ist ja auch egal. Waere hier ein Wille gewesen, dann haette es auch einen Weg gegeben. Sogar zu Olympia haetten wir dann gehen koennen, zum Marathon oder zum Strassenradrennen brauchte man ja gar keine Tickets. Immerhin sind wir waehrend der Spiele mehrfach einfach so durch London geschlendert, haben also einiges von der Atmosphäre mitbekommen.

Mein Bedarf an koeniglicher Familie war eigentlich schon seit 2005 gedeckt, damals haben wir es immerhin nach Windsor geschafft, um Prinz Charles und Camilla bei der Hochzeit zu besuchen. Nicht, dass wir eine Einladung gehabt haetten, wir sind einfach nur ein Teil des gemeinen Fussvolks gewesen, das mit einem kurzen Blick auf einen Zipfel des Auto-Korsos schon gluecklich gewesen waeren. Ein unglaubliches Gedraengel, wer sich das mit einem Kind antun will, der haette verrueckt sein muessen. Oder ein Brite eben. Diese Art von Events ueberlasse ich also gerne den Angehoerigen dieser Nation, nichts fuer mich. Fast acht Jahre wohnen wir jetzt hier, nie habe ich auch in der Entfernung je einen der Royals live gesehen. Eine fehlende Erfahrung, die ich uebrigens mit den meisten Englaendern teile.

Jetzt steht ja nun bald der Umzug nach Deutschland an. Da wir also nur noch Monate auf der Insel vor uns haben, sollte man schnell die Frage stellen, was wir bisher ausgelassen haben. Was wollen wir auf keinen Fall verpassen und sollten dann noch schnellstmoeglich planen und ausfuehren, bevor wir uns auf die Faehre einchecken. Viel faellt mir da aber nicht ein. Eine Motorradreise nach Irland oder Schottland haette ich gerne noch gemacht, das werde ich aber in den naechsten zwei Monaten nicht mehr schaffen. Winter in Schottland ist auch nicht unbedingt ein Motorradreisetraum. Und Irland kann man ja auch von einem Wohnort in Deutschland erreichen. Sehr viel einfacher waere es aber von hier gewesen. Sollten diese Motorradtouren wirklich das Einzige sein, wo ich Gefahr laufe, die zu verpassen? Wenn ja, dann haben wir unsere Anwesenheit auf der Insel ja doch intensiv genutzt. Ich muss nicht jede Stadt oder jede Landschaft gesehen haben, um unser Leben hier zu vervollstaendigen. Ohne Wehmut koennte es also losgehen in den naechsten Lebensabschnitt.

Interessant nur, dass auch der neue Lebensabschnitt gleich wieder mit dem Verpassen von einmaligen Gelegenheiten anzufangen scheint. Die Gruende, warum es leider nicht anders geht, sind diesmal einfach die Entfernung, der nicht ausreichende Urlaub und natuerlich auch die mit einer Reise verbundenen Kosten. Ich hatte ja im letzten Beitrag schon einmal alle Reisen aufgezaehlt, die im Zusammenhang mit dem Hausbauprojekt so angefallen sind. Verpasst haben wir da ja bisher noch nichts, aber nun geht mal tatsaechlich was los auf der Baustelle - und prompt sind wir nicht da.

Wir werden also leider den beruehmten ersten Spatenstich verpassen, daran fuehrt wohl kein Weg vorbei. Auch wenn dieser erste Stich ganz unromantisch mit einem grossen Bagger ausgefuehrt wird, ich haette das schon gerne gesehen. Da arbeitet man seit ueber einem Jahr an so einem Hausbauprojekt, und wenn dann endlich die ersten Erdmassen bewegt werden, dann sitzt man in ueber 1300 Kilometern Entfernung und versucht, auf der Webcam des Ortes Waltersdorf wenigstens ein klein wenig von den Vorgaengen auf der Baustelle zu erhaschen. Viel wird man da aber nicht erkennen koennen, das Bauland ist zwar gut zu sehen, aber eben doch zu weit weg und somit zu klein. Vielleicht erkennt man wenigstens den Bagger.

Es ist ja nun nicht so, dass ich in meinem Leben noch keinen Bagger gesehen habe. Im zarten Alter von sieben Jahren bin ich mit meiner Familie in den ersten fertiggestellten Block im Schweriner Neubaugebiet Grosser Dreesch Teil 3 eingezogen, das Leben auf einer Baustelle nebst der Ansicht trocknender Bodenplatten, riesiger Kraene und Bagger habe ich noch sehr gut in Erinnerung. (Hatte ich nicht gerade erst gesagt, an die ersten 8 Jahre erinnere ich mich nicht? Kommt jetzt alles wieder!) Aber damals waren das ja alles fremde Baugruben. Die eigene sieht man mit ganz anderen Augen. Die Schoenheit eines Loches erschliesst sich doch bestimmt nur dem Bauherrn.

Aber was soll's. Es ist wie es eben ist. Im weiteren Verlauf des Hausbaus wird es ja viele weitere Hoehepunkte geben, fuer die es die Chance unserer Anwesenheit noch gibt. Unser Herr Tiefbauer hat immerhin versprochen, vom Geschehen auf der Baustelle viele Fotos zu machen, somit erleben wir diese dramatischen Momente wenigstens in der Zweitverwertung. Hoffentlich wird das der einzige Schluesselmoment sein, den wir verpassen. Denn wie schon anfangs erwaehnt, am meisten bedauern wird man spaeter einmal das, was man nicht erlebt hat. Und deshalb werde ich das mit dem Bagger irgendwann einmal nachholen. Es gibt zwar keine zweite Chance fuer einen ersten Spatenstich, aber ich habe immer noch einen Gutschein fuer einen Tag im Baggerland in der Naehe von Berlin. Sollte es die Firma noch geben, dann rufe ich da demnaechst mal an und lege einen Termin fuer naechstes Jahr fest. Waere ja schlimm, wenn dieser Gutschein verfallen wuerde und ich auch diesen Bagger verpasse.

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